Kompass Sebalder Steppe

Altstadt nach Luftangriff

Die Bevölkerung be­klagte nach dem An­griff über 1.800 Tote und 100.000 Ob­dach­lose. Auch wir Heu­tigen haben noch die Bil­der und Ge­schich­ten der Zer­stö­rung Nürn­bergs aus dem Ge­schichts­unter­richt und aus Büch­ern vor Au­gen.

Die Bevöl­ker­ung be­klagte nach dem An­griff über 1.800 Tote und 100.000 Ob­dach­lose. Auch wir Heu­tigen ha­ben noch die Bil­der und Ge­schich­ten der Zer­stö­rung Nürn­bergs aus dem Ge­schichts­unter­richt und aus Büch­ern vor Au­gen.

Das Ende des Zwei­ten Welt­kriegs: Die Nürn­berger Alt­stadt ist weitgehend zer­stört. Die größ­te Zer­störung rich­te­te der Luftan­griff vom 2. Januar 1945 an; über 500 Bom­ber war­fen 6.000 Spreng­bom­ben und eine Mil­lion Brand­bom­ben ab. Die Bevöl­ker­ung be­klag­te nach die­sem An­griff über 1.800 Tote und 100.000 Ob­dach­lose.

 

Die Sebalder Steppe

Blick vom Egidienplatz nach Süden, 1952
Blick vom Egidien­platz nach Süden, Novem­ber 1952. Foto © Stadt­archiv Nürnberg.
Blick vom Egidienplatz nach Süden, 1952
Blick vom Egidien­platz nach Süden, Novem­ber 1952, Foto­graf unbe­kannt. Die Steppen­landschaft im Hinter­grund ist gut zu er­kennen. Foto A39_III_Fi_E_280 © Stadtarchiv Nürnberg.
Altstadt nach Luftangriff

Wir stellen uns vor: Fünf Jahre nach dem Krieg stehen wir mitten in der zer­störten und aus­geräumten östlichen Sebalder Altstadt, unser Blick richtet sich nach Norden, wir sehen die zer­störten Türme der Egidien­kirche, wir drehen uns langsam und blicken weiter in den Osten, auf die Ruine des Laufer Schlag­turms, unterhalb der unversehrte Grübel­bunker, weiter das Herren­schieß­haus und im Süden die Insel Schütt.

Blick vom Egidienplatz nach Süden, 1952
Blick vom Egidienplatz nach Süden, 1952. Foto © Stadtarchiv Nürnberg.

Wir drehen uns weiter herum, mit Blick auf die zerstörte Frauen­kirche und Sebalder Kirche. Wir stellen uns vor: Dazwischen ist nichts, nur eine riesige Steppe mit sandig-lößartigem Boden! Gras und Pionier­pflanzen zeigen sich auf der Brach­fläche, durch­kreuzt von Trampel­pfaden, man sieht noch die letzten Eisen­bahn­gleise des Trümmer-Express, der die traurigen Reste der Alt­stadt auf die Schutt­berge außer­halb der Stadt ab­trans­portiert hat.

Dieses Brach­land, das im Volks­mund Sebalder Steppe genannt wird, ist eine Zwischen­station des Wieder­aufbaus: Bereits 1947 wurden dazu erste Ideen über einen Archi­tekten­wett­bewerb gesammelt. Die Stadt­planer entschieden sich für die komplette Räumung des Trümmer­feldes, das durch die Bombar­dierungen entstanden war.

Heute, nach über 60 Jahren, sind die Kriegs­trümmer als Hügel­felder am Dutzend­teich begrünt und dienen zur Nah­erholung. Über sie ist buch­stäblich Gras gewachsen, Erinner­ungen wurden unter­ge­pflügt. Der 1952 begonnene Wieder­aufbau in der Sebalder Steppe hat den Stadt­teil verwandelt, zwangs­läufig jedoch auch dessen alte Bebauungs­strukturen über­deckt: die Häuser, Straßen und Gassen in der öst­lichen Sebalder Alt­stadt sind nun Zeug­nisse der Bau­praxis der 50er Jahre, die sich an den damals vordring­lichsten Bedürf­nissen der Bevöl­kerung orientierte.

Das im Volks­mund Se­balder Step­pe ge­nann­te Ge­biet er­streck­te sich un­ge­fähr auf einer Fläche, die heu­te im Wes­ten durch die Bischof-Meisel-Straße und den Obst­markt, im Nor­den durch die The­re­sien­straße und Inne­re Laufer Gasse be­grenzt wird.
Im Os­ten lag die Gren­ze etwa bei der heu­ti­gen Obe­ren Tal­gasse und im Süden am Pegnitz­ufer. Es han­delt sich bei der Se­balder Step­pe um keinen exak­ten städte­bau­li­chen Be­griff; die­se Be­gren­zun­gen sind nur Näher­ungen.
Das im Volks­mund Se­balder Step­pe ge­nann­te Ge­biet er­streck­te sich un­ge­fähr auf einer Fläche, die heu­te im Wes­ten durch die Bischof-Meisel-Straße und den Obst­markt, im Nor­den durch die The­re­sien­straße und Inne­re Laufer Gasse be­grenzt wird. Im Os­ten lag die Gren­ze etwa bei der heu­ti­gen Obe­ren Tal­gasse und im Süden am Pegnitz­ufer.
 

Orientierung in der Steppe

Als Esels­brücke* zu den Himmels­rich­tun­gen galt frü­her in der Schule der Satz: Nicht Ohne Seife Waschen. Mit »N« im Nor­den an­ge­fan­gen, ver­knüp­fen sich hier im Uhr­zei­ger­sinn die vier Him­mels­rich­tun­gen: Norden – Osten – Süden – Westen – wie bei einem Kompass.

Eine Esels­brücke ist eine ein­fache Form der Mnemo­tech­nik, also einer Tech­nik, mit deren Hilfe wir uns leich­ter an etwas er­innern können.

Wir Heu­ti­gen ste­hen mit un­se­rem Wunsch, uns zu er­innern, wie der vor­sich­ti­ge Esel vor ei­ner sich spie­geln­den Wasser­ober­fläche: Uns ist der Unter­grund nicht ganz ge­heuer und wir wol­len des­halb nicht ins Was­ser lau­fen. Sicher war auch nicht alles schön, wo­ran wir uns er­innern werden – die Kriegs- und Nach­kriegs­zeit war für die meis­ten Nürn­ber­ger eine lange Zeit der Ent­beh­run­gen. Wir brau­chen daher Brü­cken zur Er­inne­rung, die uns Sicher­heit bie­ten und Mut machen, dies un­si­che­re Ter­rain zu be­tre­ten und zu er­for­schen.

Wir brau­chen zu­dem ein Ins­tru­ment ähn­lich ei­nem Kom­pass, das uns in der Er­innerungs­land­schaft der öst­li­chen Se­bal­der Alt­stadt Orien­tie­rung und Hilfe bie­tet. Dieses Ins­tru­ment möch­te ich Ihnen im Pro­jekt Kom­pass Se­bal­der Step­pe mit un­se­ren ge­mein­sa­men Ge­dächt­nis­werk­stät­ten an­bie­ten.

 

Die Gedächtnis­werk­stätten

Gedächt­nis­werk­stätten sind auf das Er­innern fokus­sierte Work­shops, bei de­nen sich Interes­sierte tref­fen, um mehr über ein spe­zi­el­les The­ma zu er­fah­ren, das mit der Ver­gan­gen­heit der Se­bal­der Step­pe und ihrem Fort­wir­ken in die Ge­gen­wart des Stadt­teils zu­sam­men­hängt. In künst­le­ri­schen und asso­zia­ti­ven Ar­beits­metho­den, in die Stadt­teil­be­woh­ner und Zeit­zeu­gen ein­ge­bun­den sind, die noch Krieg, Zer­stö­rung und den Wie­der­auf­bau in der Se­bal­der Step­pe mit­er­lebt ha­ben, wird da­bei das Po­ten­zial des Er­in­nerns ge­weckt und sicht­bar ge­macht.

Dis­kus­sio­nen, Ein­füh­run­gen von Part­nern, Film­aus­schnitte und das Be­trach­ten von Archiv­materia­lien wie his­to­ri­schen Fo­tos und Plä­nen hel­fen uns da­bei ge­nau­so wie meta­pho­ri­sche Be­griffe aus der Ge­dächt­nis­kunst uns als Leit­fä­den und Ar­beits­grund­la­gen die­nen: der Ge­dächt­nis­pa­last als eine kom­ple­xe, die Esels­brü­cke als eine ein­fache Art der Mnemo­tech­nik – und alles zu­sam­men­bin­dend un­ser Pro­jekt als Kom­pass, der uns die Orien­tie­rung im kollek­ti­ven Ge­dächt­nis von Nürn­berg er­leich­tert.

In einer Ge­dächt­nis­werk­statt wird man­ches Ver­ges­se­ne wie­der in die Ge­gen­wart ge­ru­fen und in der Grup­pe kom­mu­ni­ziert. Da­mit wird die his­to­ri­sche und auch sub­jek­ti­ve Ver­gan­gen­heit der Teil­neh­mer an­ge­spro­chen und asso­zia­tiv ver­knüpft. Die Teil­neh­mer fun­gie­ren als Au­to­ren und Mul­ti­pli­ka­to­ren. Die­se Form der Ar­beit ist ein de­mo­kra­ti­scher, sozi­aler Pro­zess, der ei­nen Teil des ge­mein­sa­men kul­tu­rel­len und his­to­ri­schen Er­bes sicht­bar machen soll.

 

Sammeln und erste Präsentation

Nürnberger Hauptmarkt 1948
Das Leben geht weiter und die Nürn­berger kau­fen ein: der Haupt­markt im Jahr 1948. Foto © Stadt­archiv Nürnberg.
Nürnberger Hauptmarkt 1948
Das Leben geht weiter und die Nürn­berger ver­sorgen sich mit Gemüse und Obst, das im Umland ange­baut wird: der Haupt­markt im Jahr 1948, Foto­graf unbe­kannt. Foto A65_II_RA_276_D © Stadtarchiv Nürnberg.

Etwa ab der sieb­ten Gedächt­nis­werk­statt im Früh­jahr 2017 beginnen wir gemein­sam, per­sön­liche Ge­schich­ten, Fotos, his­tori­sches Archiv­material und ver­schie­dens­te Gegen­stände für eine spätere Präsen­ta­tion im Stadt­teil (in einer temporären Aus­stel­lung im Sommer 2017) und auf dieser Web­site (dauerhaft auf der Seite Samm­lung) zusammen­zu­tragen, also sowohl öffent­lich zugäng­liche Daten, Fakten und Materia­lien als auch pri­vate Fotos, Doku­mente und Ob­jekte betref­fend die Sebalder Steppe für die Öffent­lich­keit zu bündeln.

Nürnberger Hauptmarkt 1948
Das Leben geht weiter und die Nürn­berger kau­fen ein: der Haupt­markt im Jahr 1948. Foto © Stadt­archiv Nürnberg.

Privat­sphäre und Persön­lich­keits­rechte von Zeit­zeugen und Be­wohnern des Stadt­teils werden dabei selbst­ver­ständ­lich respek­tiert: Es werden nur die­jenigen Ob­jekte, Fotos, Ge­schich­ten und sons­tigen Er­innerungs­stücke öffent­lich präsen­tiert, mit denen alle Be­tei­lig­ten ein­ver­standen sind.

Wir sammeln Erinnerungs­fotos, Archiv­material und Ex­po­nate jeg­licher Art. Zum Pro­zess gehören Inter­views mit Zeit­zeugen unter vier Augen, um bio­grafische Ge­schich­ten auf­zu­schreiben, die Aus­wahl der aus­sage­kräf­tigs­ten his­tori­schen Fotos in der Gruppe, Führun­gen zu spezi­fi­schen Plätzen, um per­sön­liche Er­innerun­gen zu akti­vieren, und anderes mehr.

 

Ein mögliches Erinnerungs-Denkmal

Mit der Präsentation der gesammel­ten Objekte und Doku­mente in einer tempo­rä­ren Aus­stellung im Sommer 2017 ist das Pro­jekt Kom­pass Sebal­der Steppe ab­ge­schlos­sen, denn weiter reicht der Auftrag, den mir die Stadt Nürn­berg er­teilt hat, bis­her nicht. Diese Website – insbe­sondere die Seite Sammlung – wird jedoch auch nach dem Sommer 2017 als ein lang­fris­ti­ges Archiv unseres Pro­jekts und seiner Er­geb­nisse dienen, das der Öffent­lich­keit über das Inter­net frei zugäng­lich ist.

Ist das nun das Ende der Ge­schich­te? War das schon alles? Kommt noch mehr?

Die Wunsch­vor­stellung der Initiatorin Nach­dem die Sammel­ob­jekte der Zeit­zeugen und Bürger temporär aus­ge­stellt wurden, würde ich gerne zu­sammen mit den Bürgern an der Materiali­sierung eines fest instal­lier­ten Kunst­werkes arbeiten, das als ein gemein­schaft­lich er­arbei­tetes Erinne­rungs-Denk­mal im Stadt­teil fungieren kann.

Dies wäre dann ein Kunst­werk, das alle Bewohner des Stadt­teils repräsen­tiert und von der Be­völ­ke­rung ange­nommen werden wird, weil sie in die Form­fin­dung, die Aus­wahl der ge­zeig­ten In­halte, die Stand­ort­suche und die gesamte Reali­sie­rung ein­ge­bunden wurde. Da­durch wird eine le­ben­di­ge, zu­kunfts­orien­tier­te Stadt­teil­kul­tur un­ter­stützt.

 

Kurzer Ausblick

Eine mög­liche dauer­hafte Präsen­tations-Art könnte so aus­sehen: Die von uns ge­sammel­ten Fotos, Ge­schich­ten, Ton­auf­zeich­nungen und Ex­po­nate werden an Fas­sa­den, auf dem Boden und an anderen Stellen im Quar­tier in­stal­liert. In Form von Vitri­nen, Schrift­bannern, Text­tafeln, Foto­wänden, Akus­tik und anderen Medien können die Sammel­stücke (oder ihre wetter­festen und licht­bestän­digen Repro­duk­tionen) so ihren dauer­haften Platz im Stadt­raum finden.

Dies erfordert aller­dings einen Zuschlag der Stadt für eine solche dauer­hafte Präsen­tation und Gelder für die Reali­sierung. Ein materi­elles, im Stadt­teil präsentes Erinne­rungs-Denkmal für die ehe­malige Sebal­der Steppe steht also im Moment – Dezem­ber 2016 – noch in den Ster­nen, so wün­schens­wert und sinn­voll es auch wäre. Wir werden sehen, was die Zu­kunft bringt.